Spinnenwege: Kleineweltenschatz (4/4)
Und so hat der sonst so tausendgescheite Stephan auch noch gar nicht gemerkt, wie dünn und spierlig die Ärmchen sind, die ich ihm gebastelt habe. Ganz dürre Zweiglein, die schon beim ersten Schlag brechen, zu dem ich mich hier nun endlich traue. Blindlings zuschlage, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn nach dem ersten Blick auf meinen Feind fallen mir die Augen zu, schließen sich meine Ohren, das habe ich ja gestern so gewollt, dass ich nichts mehr höre und sehe von diesen Schattenwerfern.
Dafür aber ganz, ganz dicke Arme und Fäuste habe und einen großen Mund zum Nase abbeißen .Und wo Stephan ist, weiß ich auch so, ich brauch bloß seinem Geruch folgen. Er ist der einzige in der Klasse, der schon Rasierwasser nimmt, obwohl er nur ein paar dünne blonde Härchen auf der Oberlippe hat. Und noch dazu die gleiche Marke wie Herr Stimpe, für die dieser alberne Fußballer immer Reklame macht. Gut, in Englisch hat ihm das vielleicht geholfen, dem alten Schleimer, doch hier und jetzt ist es sein Verhängnis!
Schon halte ich seinen rechten Arm in der Hand, trete ihm die Zahnstocherbeine weg, lasse meine Rechte in das Wachs fahren, drücke ihm die Lippen zu, zerre den ganzen erbärmlichen Kerl zum alten Waschkessel, öffne die Klappe und in wenigen Augenblicken ist das, was sich einmal Stephan nannte, im rußigen Ofenloch verschwunden.
Dann die Streichhölzer aus der Hosentasche gezaubert und als es anfängt, warm zu werden, öffnen sich meine Augen und Ohren wieder, damit ich das Freudenfeuer so richtig genießen kann. Nur der Rollkragenpullover stinkt mächtig, bevor er zischend verschmurgelt ist. Und obwohl ich ja eigentlich nicht so gut pfeifen kann, wegen der Klammer an den Schneidezähnen, versuche ich es nun auch einmal mit der Melodie vom Mundharmonikaspieler, dem Lied vom guten Ende.
Wie die anderen wohl schauen werden, wenn Stephan morgen und auch übermorgen und überübermorgen nicht mehr zur Schule kommt. Vielleicht setze ich mich ja auf seinen Platz am Fenster, von dem man so gut in die Fenster vom Mädchengymnasium schauen kann …
Herr Stimpe und Wolfgang haben schon jetzt Panik vor dem, was nun alles noch passieren kann. Als ich zurück in den Raum mit meinem Schatz komme, toben sie wie verrückt in ihren Gläsern herum und mein Englischlehrer trägt jetzt die Karte seines geliebten Königreiches als dunklen Fleck im Schritt. Wenn sich das im Lehrerzimmer rumspricht! Gut, vielleicht sollte ich auch Herrn Wondraschek und Herrn Böhmerberg in meine Welt einladen, damit sie schon einmal wissen, wie die Dinge jetzt stehen.
Wachs und Hölzchen und ein wenig Stoff in Cord und Pepita für ihre Anzüge habe ich ja noch genug. Zuvor lasse ich aber auf jeden Fall noch etwas Asche von Stephan in die Gläser von Herrn Stimpe, Wolfgang und den Anderen schneien, damit sie nicht so schnell vergessen, zu was ich fähig bin. Leise rieselt der Schnee…. Schwarzschnee, Todesschnee. Der niemals taut!
Da ruft Mutti von oben, dass das Abendbrot fertig ist. Schnell packe ich meine Bastelsachen weg, schaue noch einmal nach, ob Stephans Feuer wirklich ganz aus ist und will die Treppe hinauf.
Doch gerade, als ich die Klinke zur Kellertür anfassen will, stoße ich auf der obersten Stufe mit dem Kopf gegen etwas unsichtbares und pralle zurück. Eine Glaswand, so hoch und breit wie der ganze Raum. Und so dick, dass bestimmt niemand hört, wenn ich rufe. Ich versuche erst gar nicht, sie kaputt zu schlagen.
So gehe ich wieder hinunter und bastele weiter. Verhungern werde ich schon nicht. Und in der Schule fehlen dann ab morgen eben zwei Schüler.
Zur Einwohnerin für mein nächstes Glas wähle ich Elke, die aus dem Konfirmandenunterricht. Und mache eine Schönschönstunde, die noch gar nicht gewesen ist, sondern erst noch schlagen wird, jetzt! Mit einer Wiese, einer alten Weide, Kuckucksrufen, die niemals aufhören, ein wenig Rotwein und einem kleinen Kuss.
Als ich es, noch mit ein wenig rotwarm Ohren und ein bisschen nassen Händen, in das Regal stellen will, sehe ich, dass dort eine neue kleine Welt steht. Sie zeigt mich, wie einen Tiger im Käfig, mitten in unserem Keller, dessen Wände, Ziegelstein an Ziegelstein, fast das gesamte Glas auskleiden und nur ein kleines Guckloch aussparen. Ich bin mir ganz sicher, dass es nicht von mir stammt.
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