Spinnenwege: Wolkenwund

Im Inneren des Mundes eines Riesen. Den Wellen, gepflügten Furchen seines Gaumens nahe. Dem Schauen mit der Zunge nachfühlen, dabei immer schneller über die hinweg tasten, die auch Dünen sind. Und in Fernweh das Wasser der See schmecken wollen bei dräuendem Gewitter. Bis das süßbittere Eigenblut den Mund rötet. Und die Lippen netzt das Hungern nach Wanderschaft durch Weiß. Weiter unter blau auf der Zunge spazieren! Sich in allen Fjorden ergehen, die das Land überziehen, teilen, es höhlen. Und neugierden bis zur Spitze. ihren...

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Spinnenwege: Weitereiseangst (2/2)

Denn die Tabletten vertrieben nicht nur die Träume. Sie machten auch den Schuhen Angst, so dass sie sich nur noch zu flüstern trauten. Dabei wollte ich ihnen so gerne zuhören. Aber wenn ich mich zu ihnen bückte, gab es immer einen Klapps. Doch eines Tages habe ich mein ganzes Hörenwollen Mutti entgegengestellt, mich ganz schwer gemacht. Und habe den Ton gespürt, das Reißen von Leder. Da bin ich geflogen. Über Gehwegplatten, Bordsteinkanten, Bürgersteige, Unglückslinienkreuze, das Labyrinth der Straßen; habe gesungen vor Glück,...

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Spinnenwege: Weitereiseangst (1/2)

Heute war Mutti ein guter Mensch. Sie hat alte Kleidung gesammelt. Für Kinder in einem fernen Land, dessen Name nicht einmal mein Schulatlas kennt. Hinter Indien soll es liegen und sehr arm sein. Den ganzen Tag ist sie fröhlich singend durch das Haus gelaufen und hat viele Tüten gepackt. Auch mein Pepitaanzug und die kleine rotblaue Fliege werden nun auf eine weite Reise geschickt. Nur die Mottenkugeln sollen hier bleiben. Und meine Erinnerung an die Tage in Pepita, die Tage in Angst waren. Dabei war Mutti immer lustig, damals, als diese...

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Spinnenwege: Kalkweißkalt

Das Käuzchen lockt. Und meine Hand wandert über Mauernfeld. Muschelkalk. Ein Ammonit spiralt. Ich pruckele ihm mit dem Zeigefinger die Jahrmillionen aus seinem Schneckenhaus. Was der alles schon gesehen haben muss? Er lädt mich ein. Erzählt ein wenig. Von früher. Mein Wangenglühen kühlt der Trilobit in der Nachbarschaft. Denn mein Früher ist auf der anderen Seite. Im Eisengittergrenzgeviert. Da ist Mutti schon immer sehr stolz darauf gewesen. In Familienbesitz seit 1866! Vater murmelt dann immer etwas von ‚Königgrätz’ und...

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Spinnenwege: Erdbeerfeuer

Der kalte Flieder hat mich geweckt. Draußen leben Wind und Nacht. In meinem Zimmer wächst Mond. Er weist mich über den Atlasteppich zum blauen Regal. Dort, wo die kleinen Tiere wohnen, die Weichfelle und Knopfaugen, die Liebewesen. In meinem Kinderzimmer. Oben: der Bauernhof mit Schaf und Schwein, dem Hahn, der Kuh. In der Mitte: der Wald: Fuchs und Has’ und Igel, Dachs, ein Reh. Darunter dann die weite Welt: Giraffe, Zebra, Elch, ein Elefant, der Pinguin … Nein, kein … Pinguin. Er fehlt, ist nicht an seinem Platz, wo er...

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Spinnenwege: Weidenmantel

‚Kennst du das,‘ frage ich mich in der großen Pause ‚dass man etwas immer, immer wieder tut, auch wenn man weiß, dass es böse endet?‘. Ich antworte mit dem Kreiselspiel meiner Zungenspitze am letzten Backenzahn, dem mit der alten Plombe. Seit der ersten Stunde geht das so. Mathe, Latein. Und immer wieder: Erdkunde, Sport, die zweite Pause. Englisch, Doppelstunde; immer, immer wieder. Im Sprachlabor puckert es. Ich kann den Zahnschmerz spielen sehen. Wie ein kleiner Geist, der seilspringt. Zu...

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